Überlebende
sprechen über ihre Erinnerungen: Teil zwei
Autor:
Svali
Veröffentlicht am: Mai 8, 2000
Überlebende
des rituellen Mißbrauches gibt es auf der ganzen Erde. Dies
ist nicht ein Phänomen, das auf die Vereinigten Staaten oder
Europa begrenzt wird.
John,
ein Überlebender außerhalb der VEREINIGTEN STAATEN,
berichtet über seinen Prozeß des Erinnerns: Ich kann
mich nicht in jedem Moment erinnern. Wie bei vielen überlebenden
sexueller Angriffe und wegen der Gewalttätigkeit und der
Drohungen, die daraufhin erfolgt waren, war ich nicht fähig
dazu oder durfte mich nicht erinnern. 1974 war ich 16 und ich
sah den Film der Exorzist. Es löste ein sehr starkes unwohlgefühl
in mir aus und wegen der Gehirnwäsche und der Lüge "mein
Familie würde getötet werden", konnte ich kein
Bewußtsein und Klarheit gewinnen. Ich lief weg wegen dieser
Unterbewussten und doch noch starken Furcht. Ich erhielt dann
wieder eine Gehirnwäsche und sie befleckte meine ganze Erinnerung
und den Mißbrauch, der dann geschah. 1992 traf ich einen
rituellen Mißbrauchsüberlebenden in einer Inzestüberlebendengruppe
und nachdem ich ihm ungefähr sechs Monate zuhörte, stellte
ich fest, daß ich rituell mißbraucht wurde und werde.
Die Gehirnwäsche war so stark, daß ich erst nach sechs
Monaten Assistenz und Beratung durch einen anderen Überlebenden
fähig war, Bewußtsein und Klarheit wiederzuerlangen.
Abigail
ist eine andere Überlebende, die sich schon immer an einige
Sachen erinnert hat: Wir hatten immer Teilerinnerungen, zum Beispiel,
daß ich zur Schule gehe und mein Vater mich mit einer Entschuldigung
aus der Klasse nimmt. Er hätte mich zum Lebensmittelgeschäft
mitgenommen, um Preisschilder in einem Kühlraum zu sortieren.
Weil es in dem Raum sehr kalt war, würde mein Vater sagen,
daß ich krank geworden wäre und mich zum Arzt bringen
müsste. Wir würden zur Mittagszeit weggehen und danach
hätte ich keine Erinnerung mehr für die folgenden drei
Tage. Ich weiß, daß es drei Tage waren, weil in der
Entschuldigung meiner Mutter für die Lehrer stand, daß
ich mit einer drei Tage langen Grippe abwesend war. Andere Dinge
waren zum Beispiel fast lebenslänglich unerklärbare
Furcht und Reaktionen bei Sachen, die normalerweise hübsch
und alltäglich sind. Ich traue mich kein Streichholz anzünden,
aber mit einem Feuerzeug geht es. Die Furcht mit einem unangezündeten
Streichholz in meiner Hand ist ein überwältigendes Panik-
und Terrorgefühl. Es gibt viele andere, zu viele, sie hier
alle zu erwähnen, aber sie sind mehr spezifisch statt allgemein.
Die Erkennung des rituellen Mißbrauches kam erst später
als Erwachsene während eines Treffens für Überlebende
sexuellen Mißbrauchs. Wir als Gruppe Überlebender lasen
und arbeiteten zusammen mit einem Buch. Es gab dort Listen mit
Kennzeichen von sexuell mißbrauchten Mädchen und Jungen
und ein Kapitel mit einer Liste mit Kennzeichen des rituellen
Mißbrauches. Es waren unsere ganze Furcht, unsere Reaktionen,
unser Körperschmerz verzeichnet. Alle hatten vorher keine
Erklärung, bis sie jetzt innerhalb des Kontextes des rituellen
Mißbrauches erklärt wurden. Und viele Dinge bekamen
einen verständlichen Zusammenhang. Unsere Reaktion darauf
war erst: "OH-Nein., das kann nicht sein!", aber dann
war es: "Ahhh, jetzt ist es sinnvoll." Es tauchten mehr
und mehr Erinnerungen in einer altersbasierten chronologischen
Reihenfolge auf, mit nur wenigen Ausnahmen, zum Beispiel bestimmte
Sachen in einem späteren Alter.
Ian,
ein elfjähriger, berichtet: Ich wußte immer, daß
ich innere Persönlichkeiten hatte. Ich konnte sie sehen und
mit ihnen sprechen. Einmal erinnerte mich ich an etwas und zwei
Nächte später erklärte eine meiner inneren Leute
meinem Führer, daß ich mich erinnerte, es war ein inneres
Kind, das mich "verpetzte". Sie schlugen mich und schockten
mich, kreischten mich an und sagten, daß ich mich ich nie
erinnern sollte oder es würde für mich schlimm werden.
Sie ließen mich dann laufen, schossen mit Gewehrkugeln über
meinem Kopf und lachten. Ich hatte dann wirklich Angst, als ich
mich zuerst wieder daran erinnerte, als ich weg von ihnen war.
Ich war sicher, jemand würde zu mir kommen, mich fangen oder
mich verletzen. Tatsächlich brauchte ich nachts jemand bei
mir, sonst konnte ich nicht schlafen. Nachts ist die schlimmste
Zeit, weil wir dort immer zu den Sitzungen gingen. Tagsüber
fühle ich mich wohl.
Svali
erinnert sich auch stufenweise: Ich kämpfte mein ganzes Leben
mit Depressionen, aber ohne erkennbaren Grund. Ich wurde als "endogen"
Depressiv bezeichnet. Mein Ex-Ehemann und ich gingen zur Eheberatung.
Eines Tages erklärte mir der Therapeut, "Wäre es
nicht gut, wenn das enorme Schuldgefühl, welches ich in Ihnen
sehe, weggehen würde?". Das Schulgefühl kam heraus
und ich lief in eine Ecke und duckte mich, sagte "aber, wenn
das Schuldgefühl weggeht, dann werde ich auch verschwinden."
Ich hatte dann eine spontane Erinnerung, verletzt worden zu sein.
Der Berater hatte keine Idee, was das gewesen sein könnte,
und ich auch nicht. Als ich diese Nacht nach Hause kam, erinnerte
ich mich während des Geschirrspülens, wie mein Vater
mich missbraucht hatte. Ich lief in mein Schlafzimmer, stopfte
ein Kissen in meinen Mund, und schrie, während die Erinnerung
herauskam. Die ganze Wut, das Verletztsein, die Schmerzen kamen
wieder hoch. Während die Zeit weiterging, kamen andere Erinnerungse
empor, alle spontan, normalerweise zu Hause. Ich hatte mich immer
wieder an Störungen in meiner Familie erinnert: daß
mein Stiefvater ein Alkoholiker war, daß meine Mutter ihre
Kinder schlug, das meine Schwester und Brüder und ich viele
Male während unserer Kindheit fast Selbstmord machen wollten.
Sie mußten meinen achtjährigen Bruder runterschneiden,
als er versuchte, sich zu erhängen. Aber andere Dinge hatte
ich blockiert, weil sie zu verletztend waren, bis ich mich sicherer
fühlte und älter war, um fähig zu sein, mich mit
ihnen zu beschäftigen.
Frank
erinnert sich: Ich wußte, daß ich anders war. Ich
fand Sachen in meinem Raum, welche ich nie gekauft hatte. Oder
ich fand mich in einer fremden Stadt wieder, ohne Idee wie ich
dort hinkam. Würde dann herausfinden, daß ich einen
Job für einige Monate hatte, ein Bankkonto, und eine Freundin!
Ich zog viel herum, hatte Angst, jemand näher kennen zu lernen,
oder sie würden mein "Geheimnis" herausfinden.
Aber eines Tages, als ich vor ein paar Jahren in einem Drogenrehabilitationszentrum
war, geschah es. Mein Großvater, einer meiner größten
Vergewaltiger starb, und ich hatte Rückblende (?Flashback?)
um Rückblende über ihn. Mir wurde sein Freimaurer-Ring
gegeben, und als ich ihn gerade betrachtete, erinnerte ich mich
an mehr. Ich stieg in eine Therapie ein und sofort kamen innere
Persönlichkeiten heraus und fingen an zu sprechen. Sie stellten
dar, daß es jetzt wo er tot war, sicher war zu sprechen.
Alex,
ein Überlebender von der Westküste, berichtet: Ich hatte
keine Vorstellung, daß es bis letztes Jahr geschah, als
ich begann mich zu erinnern. Ich bin über 50, da sollte man
sich an einiges erinnern! Ich spreche darüber nicht mit meiner
Familie, ich möchte sie nicht verletzen. Ich habe dieses
ganze dieses Material über mein Leben, daß jetzt mehr
und mehr Sinn macht. Ich wußte immer, daß meine Familie
nicht normal war, daß viele Sachen nicht richtig waren.
Ich hatte immer eine Menge Wut, warf Sachen gegen die Wand und
schrie, ohne zu wissen warum. Aber jetzt finde ich heraus, woher
die Raserei kam. Ich bessere mich jetzt und fühle mich besser
als je in meinem Leben, weil die ganze Zeit die Wut in meinem
Hals steckte und sie jetzt befreit und geheilt wurde. Eines Tages
erkläre ich meiner Schwester, daß ich ihr auch wünsche
hinauszugehen, aber es ist noch nicht Zeit. Ich muß mich
erst selbst noch stärker heilen.
Wie
durch diese Erfahrungen klar gezeigt wurde, HABEN viele Überlebende
sich an einige Sachen aus ihrem ganzen Lebens erinnert - oder
hatten Indikatoren, daß etwas traumatisches in ihrem Leben
geschehen war. Andere sind durch einen stufenweisen Prozeß
des Erinnerns weitergekommen. Jedoch arbeiten alle mutig an der
Beschäftigung mit dem überwältigendsten Mißbrauch,
den ein junges Kind oder ein Erwachsener je erfahren (und überleben)
kann: Ritueller Mißbrauch. Ich werde stark durch ihren Mut
und ihre Ehrlichkeit angespornt, wenn sie hier berichten.
Copyright
Svali 2000